KI-Hologramm
Der kleine König in seinem Königreich
Anfänglich erkennt das in der Ritterstr. 45 generierte Hologramm nur wenige Gesten, und kann daher erst relativ eingeschränkt mit den Besuchern interagieren, aber Schritt für Schritt wird sich sein Repertoire erweitern.
Feste Öffnungszeiten werden hier in Kürze zu finden sein.
Figur
Der kleine König mit dem Schalk im Nacken, aber bereits überzeugt, dass im Großes bevorstehen wird. Vielleicht ist er auch eines der inneren Kinder, die wir als Erwachsene manchmal schon verloren glauben und die wir nun einmal wiederfinden können.
Scheinbar freundlich, kindlich und womöglich ‚harmlos‘ ist er doch auch ein Regelbrecher, dem es in seiner kindlichen Gestalt erlaubt ist, Wahrheiten auszusprechen, die Erwachsenen verboten wären und Orte zu erobern, zu denen sonst niemand Zugang hätte. Trotz der Krone auf seinem Kopf ist der kleine König so auch ein Rebell, der Institutionen und Regeln in Frage stellt.
Was er uns wohl zu erzählen hat? Schon vor mehreren Jahren hatte ich den Gedanken, den von mir in zahlreichen Kunstwerken skizzierten und portraitierten archetypischen Charakter zum Leben zu erwecken.
Jetzt habe ich es umgesetzt: Als Bronze-Skulptur (basierend auf einem 5000 Jahre alten Verfahren) und als, mittels KI zum Leben erwecktes, Hologramm. Irgendwo zwischen Ewigkeit und schneller Vergänglichkeit.
Meral Alma
Dezember, 2023
Verortung des Kunstprojektes in Meral Almas Œuvre
Wer wollte nicht schon einmal mit einer Figur aus einem Gemälde sprechen, mit ihr interagieren oder einfach sehen, wie sie sich bewegen und verhalten würde, wäre sie nicht auf den kleinen Raum hinter dem Bilderrahmen beschränkt? Leider gelingt das meist nur mit denjenigen Figuren, die einem realen Abbild entsprungen sind, wenn man ihnen denn dann im echten Leben begegnen sollte. Doch genau die zeigt Meral Alma nicht: Ihre Figuren sind keine realen Personen, sondern Typen, die uns in eine andere Welt entführen, die doch aus unserer Realität entsprungen zu sein scheint. Tausende kleiner Geschichten verweben sich bei ihr auf der Leinwand zu einer großen Narration über Leben, Schicksale und Emotionen. Einige Figuren findet man immer wieder, mal klein in der Ecke eines Bildes oder aus dem Fenster blickend, manche schaffen es sogar, zu Protagonisten ihrer eigenen Gemälde und Geschichten zu werden.
Waren es zuletzt bei Meral Alma vor allem zweidimensionale Werke, die mit Hilfe unterschiedlicher Farbspektren oder cm-dickem Auftrag von Materialschichten (u.a. Erde, Ton oder Quarz) auch die dritte Dimension imaginär oder praktisch mit einbezogen, so versucht sie nun eine Figur im Raum zum Leben zu erwecken, und diese tatsächlich in Kontakt mit seinen Betrachter:innen treten zu lassen.
Kunstgeschichtliche Betrachtung
Auch mit Blick auf die künstlerische Tradition schafft Meral Alma in ihrer Skulptur eine Synthese aus der jahrtausendealten Technik des beinahe anachronistisch zu nennendem Bronzeguss und aktuellsten Technologien.
Und bereits in der Oberfläche ihrer Skulptur zeigt sich so deutlich, welcher kunsthistorischen Tradition Meral angehört: Werden die Ausstellungsräume der Welt seit Jahren dominiert vom perfekten Oberflächen-Finish der auf Hochglanz polierten Skulpturen beispielsweise Constantin Brancusis oder Jeff Koons und von Werken, die durch ihre Leichtigkeit immer mehr einer Entmaterialisierung entgegenstreben, so zeigt Merals Figur ihre materielle Schwere und stellt ihre Haptik offen zur Schau. Es geht gerade nicht um die perfekte Oberfläche, sondern die gewollten Unebenheiten verweisen viel eher auf die Handarbeit, die der Figur zu Grunde liegt, auf die Spuren körperlicher Arbeit, die allen Werken Merals, vor allem ihren großformatigen und mitunter wilden Gemälden, eingeschrieben sind. Sie steht so, neben zahlreichen anderen künstlerischen Vorbildern, in der Tradition eines ins Skulpturale überführten Action Paintings à la Jackson Pollock. Doch steht diese Arbeitsweise nicht nur für Merals künstlerische Ahnen, sondern spielt auch auf die Figur des kleinen Königs selbst and: Scheinbar freundlich, kindlich und womöglich ,harmlos‘ ist er doch auch ein Regelbrecher, dem es in seiner kindlichen Gestalt erlaubt ist, Wahrheiten auszusprechen, die Erwachsenen verboten wären und Orte zu erobern, zu denen sonst niemand Zugang hätte. Trotz der Krone auf seinem Kopf ist der kleine König so – ebenso wie seine Schöpferin – auch ein Rebell, der Institutionen und Regeln in Frage stellen kann, wie es auch Meral mit ihrer immer wieder unkonventionellen Arbeitsweise gelingt. Während gerade zeitgenössische Künstler:innen so immer wieder die Auseinandersetzung mit dem traditionsgeladenen Material der Bronze scheuen, müssten sie sich doch sonst zu einer jahrhundertealten Materialikonografie verhalten,[1] wagt Meral bewusst die Konfrontation mit dem Material, der zeitgenössischen technologischen Hybridisierung und der für die Betrachtenden ungewohnten Interaktionssituation im Kunstraum.
Auch ikonografisch setzt Meral hier bewusst Gegensätze zwischen dem beständigen und sogar korrosionsfreien Material der Bronze, die kunsthistorisch für Ewigkeit, Kraft und Stärke steht, und der beinahe ephemeren Erscheinung einer digitalen Projektion, die sie mittels Holografie im Raum erscheinen lässt und die sich durch die Verwendung von KI-generierten Algorithmen kontinuierlich verändert. So beschreibt Barbara Stoltz, dass bereits seit der Antike in den Werken Horaz‘ und Plinius‘ Bronze metaphorisch für die Fähigkeit steht, zu überdauern und so auch Herrschaftsansprüche zu verewigen.[2] Was für eine passende Metapher also, steht doch auch Merals kleiner König irgendwo in der Mitte zwischen einer ewigen Kindheit und der dadurch bedingten Fähigkeit, mit kindlichem Blick in die Welt zu schauen und seines in der Skulptur verewigten Status als König seiner eigenen Welt. So kann der kleine König auch metaphorisch für die Frage einstehen, welche Form von Autorität hier verewigt wurde und bleibt zugleich eine Antwort schuldig, ob die Künstlerin durch ihre Skulptur diesen Ewigkeitsbezug bestätigt oder durch das Aufbrechen mittels Holographie gerade konterkariert. Und auch in der Bronze selbst schlummert bereits der Gegensatz zwischen Ewigkeit und Ephemerem, basiert sie doch auf der Fertigung einer Wachsgrundlage, die beim Guss unwiderruflich verloren geht und bei der das Hervorgehen der Skulptur aus ihrer Form einem Geburtsvorgang einer Figur, die im echten Leben so kaum existieren könnte, gleichkommt. Gerade die im Guss entstandenen scheinbaren ,Unvollkommenheiten‘ sind so ein entscheidendes Charakteristikum der Bronze, das zugleich zum Charakter und der Individualität der entstehenden Figur beiträgt.[3] Damit steht die Skulptur zugleich in der Tradition von Erzählungen, in denen der Figur erst durch den:die Künstler:in Leben und damit eine ,Seele‘ eingehaucht wurde.[4] Und dies ist um so bezeichnender im Kontext Meral Almas, ist es doch hier eine Künstlerin, die sich den sonst oft maskulin-heroisch konnotierten Impetus der Beseelung eines Kunstwerks angeeignet hat.
Zugleich gilt die Bronzeskulptur bereits seit dem Mittelalter bzw. der Renaissance als Zeichen für Macht und Ansehen der Herstellenden, handelte es sich doch um ein teures Material, das nur für eine herrschende Klasse erschwinglich war.[5] Gerade in einer Zeit, in der heute prinzipiell jedes Material zu Kunst werden kann, zeugt die bewusste Verwendung der Bronze so nach wie vor von einem Bewusstsein für Wertigkeit und Beständigkeit. Und noch ein anderer Aspekt der inhaltlichen Bedeutung des Kleinen Königs findet sich in seinem Material wieder: So gilt die Bronze ebenso, wie sie in ihrer vollendeten Form als standhaft und ewig erscheint, in ihrem Herstellungsprozess auch als verspieltes, Leichtigkeit ausstrahlendes und lebendiges Material, ermöglicht sie in der Gusstechnik doch komplexe und statisch unwahrscheinlichere Formen als beispielsweise Marmor,[6] bei dem Material abgetragen werden muss, um zur endgültigen Form zu gelangen. Dieser Aspekt wird besonders deutlich, vergleicht man Merals kleinen König mit modernen Skulpturen wie den Ballerinas Edgar Degas, die trotz des scheinbar schwerfälligen Materials der Bronze eine Leichtigkeit und Eleganz verströmen, die bisher kaum in einem anderen Medium erreicht wurde. Auch für Meral ermöglicht die Bronze die Haptik einer belebten Oberfläche, die durch den rauen Glanz des unpolierten Materials bereits ein Mimikspiel im Gesicht der Figur erahnen lässt.
Die Holografie als eine Technik, die zwar schon 1948 entwickelt wurde und für die ihr Erfinder, Dennis Gabor, im Jahr 1971 den Nobelpreis erhielt, wurde erst seit den 1960er Jahren durch die Erfindung des Lasers als erforderliche Lichtquelle allgemeiner verfügbar. Begrifflich bezieht sich der Name Holografie auf das griechische ‚holos‘ für ‚Ganzheit‘ oder ‚Vollständigkeit‘,[7] ein sehr treffender Begriff also, wird nun in Merals Installation erstmals eine ihrer sonst in der flachen Ebene des Bildraums fixierten Figuren nicht nur im dreidimensionalen Raum in ihrem Volumen erkennbar, sondern auch in Bewegung versetzt und mit einem Charakter versehen.
Erst aktuellere Holografie Techniken ermöglichen es, das Hologramm nicht mehr als in einem Rahmen fixiert zu erleben, sondern wirken so, als befände sich das Hologramm optisch hinter dem holografischen Medium.[8]
Auch Meral Almas Hologramm erscheint so mitten im Raum. Der kleine König wird so im doppelten Sinne lebendig: Bereits durch das Hologramm an sich scheint die Figur zum Leben zu erwachen. Doch bleibt es nicht bei der reinen Holografie einer zwar dreidimensionalen und sich scheinbar verändernden Figur, sondern durch den Einsatz von KI-Technologie erwacht die Figur tatsächlich im Zusammenspiel mit den Betrachter:innen zum Leben.
Spannend an dieser Art, aktuelle Technologien wie Holographie und künstlicher Intelligenz zu kombinieren, um eine Skulptur zum Leben zu erwecken, ist auch, dass hier Künstlerin und KI synergetisch zusammenarbeiten. Meral widersetzt sich so bewusst aktuellen Diskursen um KI-generierte Kunstwerke, die, wie bei den bombastischen und beeindruckenden aktuellen Werken Refik Anadols, vor allem darum kreisen, ob nun KI als kreativer Akteur in der Lage sei, die Aufgabe von Künstler:innen zu übernehmen und sie schließlich obsolet werden zu lassen.
Im Gegensatz dazu setzt Meral Holografie und KI viel eher ein, um sie mit der manuell geschaffenen Skulptur zu einem multisensorischen Gesamtwerk verschmelzen zu lassen. So beschäftigen sich zwar auch andere Künstler:innen und Kulturinstitutionen intensiv mit Möglichkeiten, Skulpturen digital zu gestalten. So gelang es etwa dem Auktionshaus Christis, gemeinsam mit der Firma Proto, die berühmte Figur der „Petit danseuse e quatorze ans“ von Edgar Degas, deren Preis auf 20-30 Mio. $ geschätzt wird, als holografische Reproduktion auf Reisen zu schicken.[9] Meist sind es jedoch dann bestehende Kunstwerke, die für eine virtuelle Sammlung digitalisiert und erfahrbar gemacht werden, ein Prozess, den Meral mittels Holografie umkehrt, indem sie die real existente Figur digital belebt. Und damit gelingt ihr noch eine weitere Innovation: Während die meisten VR- oder KI-Anwendungen, wenn sie auf eine Interaktion mit den Betrachter:innen abzielen, darauf angewiesen sind, diese zunächst in ihre eigene, die digital erzeugte virtuelle oder augmented reality zu entführen, um so erst mittels einer VR-Brille oder in einer neu erzeugten künstlerischen Animation für das menschliche Auge sichtbar zu werden, ist es Meral gelungen, im Medium der Holografie die KI unmittelbar im Ausstellungsraum sichtbar zu machen und so die digitale Realität mit der analogen verschmelzen zu lassen.
Auf diese Weise entwickelt Meral zugleich künstlerische Techniken der Belebung skulpturaler Figuren weiter, die bereits in den 1990er Jahren erprobt wurden: So bespielte Tony Oursler 1995 in We Have No Free Will zwei Stoffpuppen mit der Projektion eines Gesichts und verhandelte damit die Frage nach freiem Willen und technologischer Reproduzierbarkeit.[10]
Sind es hier noch mit einem Videoprojektor – und damit für die Betrachtenden sichtbaren technologischen Ursprung – auf die Puppen projizierte Videos in Endlosschleife, so wird bei Meral die Technologie unsichtbar und bringt zudem eine andere Zeitlichkeit in den Ausstellungsraum, indem sich die KI-generierte Produktion kontinuierlich verändert, entwickelt und damit im Gegensatz zum kleinen König selbst, der für immer in seiner kindlichen Welt bleibt, im Zusammenspiel mit den Betrachter:innen ,wächst‘.
Meral gelingt es so, sich nicht nur die medialen Möglichkeiten des späten 20. Jahrhunderts, wie Videoprojektion oder digitale Animationen zu Nutze zu machen, um ihre Skulptur zu beleben, wie es beispielsweise der Künstler Ed Atkins macht, wenn er seine digitalen Avatare mit einer Face-Shifting Software bespielt, um ihnen die Fähigkeit zu scheinbar menschlichen Emotionen einzuhauchen, sondern durch die fortschreitende Anpassung der KI generierte Algorithmen entwickelt sich der kleine König Schritt für Schritt als Persönlichkeit. Auch wenn er den Raum in den seine Erscheinung projiziert wird, nicht verlassen kann, gewinnt er zusehends an Handlungsautonomie, bis sich anknüpfend an aktuelle KI-Debatten die Frage ggf. irgendwann stellen wird: Ist die Figur aus Merals kreativem Universum tatsächlich zum Leben erwacht?
[1] Kehrbaum, Annegret; Wiegartz, Veronika: Cire perdue. Neue Formkonzepte des plastischen Informel um 1960, in: Bushart, Magdalena; Haug, Henrike: formlos-formbar. Bronze als künstlerisches Material, Köln 2016, S. 237–266, hier S. 238.
[2] Stoltz, Barbara: Der Bronzeguss in der zeitgenössischen Kunst. Tradition einer Herausforderung, in: kunsttexte.de / Sektion Gegenwart, Nr. 1, 2015, S. 1–20, hier S. 1.
[3] Stoltz 2015, S. 2; S. 5–6.
[4] Bushart, Magdalena; Haug, Henrike: formlos-formbar. Bronze als künstlerisches Material, in: Dies. (Hg.): formlos-formbar. Bronze als künstlerisches Material, Köln 2016, S. 7–18, hier S. 8.
[5] Stolz 2015, S. 3
[6] Stolz 2015, S. 5.
[7] Huff, Lloyd; Fusek, Richard L.: An Introduction to Holography, in: Technical Communication, Ausgabe 26, Nr. 4, 1979, S. 9–11, hier S. 9.
[8] Pepper, A.: Holography without frames: sculptural installations incorporating ,drawn’ elements, in: 9th International Symposium on Display Holography. Journal of Physics: Conference Series, Nr. 415, 2013, S. 2–3.
[9] https://www.theartnewspaper.com/2022/04/21/christies-degas-dancer-hologram-tour-auction.
[10] Dander, Patrizia: Skulptur, Technologie, Körper seit den 1950er-Jahren. Eine Annäherung in drei Teilen, in: Dies. (Hg.): Future Bodies. Sculptures From A Recent Past. Skulptur, Technologie, Körper, seit den 1950er-Jahren, Ausst.-Kat. Museum Brandhorst, Berlin 2022, S. 41–55, hier S. 51.